Artikel zum Thema ‘Selbstbelastungsfreiheit’

Grenzen zulässigen Verteidigungshandelns

Für jeden Beschuldigten gilt die Selbstbelastungsfreiheit, d.h. jeder Beschuldigte hat das Recht zu schweigen ohne dass dieses Verhalten strafschärfend gewertet werden darf. Den Beschuldigten trifft als Ausfluss seines Schweigerechts also keine Wahrheitspflicht. Ein Recht zur Lüge ergibt sich aber für einen Beschuldigten nicht. Beschuldigt ein Angeklagter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren wahrheitswidrig eine bis dahin unverdächtige Person als Täter und löst dadurch Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden aus, hat er sich der falschen Verdächtigung strafbar gemacht. Etwas anderes gilt nur, wenn außer dem falsch Verdächtigenden überhaupt nur eine eine weitere, den Ermittlungsbehörden bekannte Person als Täter der aufzuklärenden Tat in Betracht kommt. (BGH Urteil, 10.02.15, 1 StR 488/14)

Verständigung im Strafverfahren- Angeklagter muss vor seiner Zustimmung über Voraussetzungen und Folgen belehrt werden

Das Verfassungsgericht hat ein Revisionsurteil des Bundesgerichtshofes aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Zunächst hatte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Dem Urteil ging eine Verständigung voraus. Die Strafkammer stellte in Aussicht, eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Jahren und sechs Monaten zu verhängen, wenn der Angeklagte u.a. ein glaubhaftes Geständnis ablege. Erst nach Zustimmung des Beschwerdefürers, seines Verteidgers und der Staatsanwaltschaft wurde der Beschwerdeführer vom Gericht über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichts von dessen in Aussicht gestelltem Ergebnis belehrt. Danach hat der Beschwerdeführer ein Geständnis abgelegt. Die Belehrung erst nach seiner Zustimmung hatte der Beschwerdeführer mit der Revision gerügt.Der Bundesgerichtshof hat die Revision verworfen. Das Verfassungsgericht sieht in der verspäteten Belehrung einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren und gegen die Selbstbelastungsfreiheit. Ein Beschuldigter muss frei von Zwang über seine Mitwirkung im Strafverfahren entscheiden können. Eine Verständigung ist aber nur dann mir den Grundsätzen eines fairen Verfahrens zu vereinbaren, wenn der Beschuldigte vor ihrem Zustandekommen über deren eingeschränkte Bindungswirkung für das Gericht belehrt worden ist. (Bundesverfassungsgericht,26.08.14, 2 BvR2048/13)

Bundesgerichtshof stärkt den Rang der Selbstbelastungsfreiheit

Ein wegen versuchten Totschlags Beschuldigter hatte gegenüber der für ihn zuständigen Ermittlungsrichterin nach deren Belehrung über sein Schweigerecht sowie über das Recht einen Verteidiger hinzuzuziehen, eine spontane Äußerung zum Randgeschehen des Tatvorwurfs gemacht. Das geschah nachdem sein Verteidiger nicht zu erreichen war und er angegeben hatte, von seinem Schweigerecht Gebrauch machen zu wollen. Die Ermittlungsrichterin fragte nach und der Beschuldigte belastete sich daraufhin schwer. Nach der Hinzuziehung seines Verteidigers widerrief  der Beschuldigte sein Geständnis und machte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch. Das zuständige Gericht verurteilte ihn aufgrund seiner Äußerungen vor der Ermittlungsrichterin.

Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes war das verfahrensfehlerhaft. Aufgrund des hohen Ranges der Selbstbelastungsfreiheit hätte die Ermittlungsrichterin nicht weiter nachfragen dürfen mit dem Ergebnis, dass die Äußerungen des Beschuldigten für eine Verurteilung nicht zu Grunde gelegt hätten werden dürfen. (BGH 27.06.13, 3 StR 435/12)